Montag, 11. April 2016

Beziehung mit Hindernissen


"Er aus NRW, ich aus Bayern. 500 km lagen zwischen uns.
Er 45, ich 26.
Er das zweite mal verheiratet, 2 Kinder aus erster Ehe, die Kinder nur wenige Jahre jünger als ich selbst. Ich Single und von Heirat und Kinder ganz weit entfernt.
Beide die Schnauze voll von Beziehungen, wie wir sie bisher hatten.
Beide einen Job, der nicht aufgegeben werden wollte.
Beide fest verwurzelt in der Heimat, mit der Familie, mit Freunden.

Konnte das gut gehen?"

Ich hatte kürzlich mit einem Bekannten ein interessantes Gespräch über Fernbeziehungen. Er vertritt die Meinung, dass eine Beziehung, bei der die Partner über mehrere hundert Kilometer getrennt sind, nicht funktionieren kann. Aus diesem Grund hatte er selbst schon eine Beziehung beendet - die Entfernung war ihm zu groß und es war nicht absehbar, dass er oder sie in Kürze den Arbeitsplatz verlegen würden, um jeweils zum anderen zu ziehen.

Dass eine Fernbeziehung nicht funktionieren kann, ist eine weit verbreitete Meinung. Auch andere Hinderungsgründe, wie ein zu großer Altersunterschied, der Entschluss, dass man gerade nicht offen für eine Partnerschaft ist oder eine generell sehr einengende Definition des Wortes "Beziehung" an sich, sorgen oft dafür, dass Liebesbeziehungen enden, bevor sie eigentlich richtig begonnen haben. Zwei Menschen trennen sich aus scheinbar logischen Gründen und leiden dabei fürchterlich, weil sie den anderen eigentlich lieben.

Daher möchte ich euch heute beschreiben, wie es trotz all dieser "Hürden" klappen kann, denn ich selbst bin der lebende Beweis dafür, dass es auch anders geht. ;)

Alles begann vor einigen Jahren auf einer einwöchigen Schulung in Hessen. Ich selbst hatte zu der Zeit so was von die Schnauze voll von Beziehungen. Ich kann euch gar nicht sagen wie sehr. In dieser einen Woche mit dem nötigen Abstand wurde mir mehr als klar, dass das, was ich da gerade hatte, keine Beziehung war, wie ich sie mir vorstellte. So entschied ich mich, dass eine endgültige Trennung einfach unausweichlich war. Und danach wollte ich alles, nur keine neue Beziehung. Ich wollte meinen Frieden, für mich sein, meine Wunden lecken und dann mein Singleleben genießen. Entsprechend war ich für Flirtversuche von so manchen Seminarteilnehmern überhaupt nicht offen, vielmehr schreckten sie mich ab. Also fuhr ich nach dieser Woche nach Hause, trennte mich und ließ den derben Shitstorm von meinem Ex, der mehr als unter die Gürtellinie ging, über mich ergehen. Ich hatte mich genau richtig entschieden.

Am Sonntag nach diesem Seminar fiel mir ein, dass ein Teilnehmer die ganze Woche immer mal wieder Fotos gemacht hatte. Ich mailte ihn an und bat ihn, sie mir zu schicken. Und dann nahm alles seinen Lauf, so schnell konnte ich gar nicht schauen.

Dieser Teilnehmer ist mir während des Seminars nicht mehr aufgefallen wie alle anderen. Er war halt da. Man wechselte mal einen Satz, alberte herum, aber mehr auch nicht. Was sich aus dem Mailverkehr allerdings ergab, hatte ich nicht erwartet. Er selbst steckte gerade in einer ganz ähnlichen, vielleicht noch etwas heftigeren Situation. Verheiratet, die Beziehung am Ende, zerstört durch eine jahrelange, schwere psychische Krankheit der Frau. Er war am Ende, konnte das alles nicht mehr tragen und hatte sich ebenfalls in dieser Woche Schulung dazu entschieden, sich zu trennen, bevor er selbst vor die Hunde ging. (Später erzählte er mir, dass er sich am Ende des Seminars eine Weggabelung in den Kalender gemalt hatte!) Er trennte sich, ich trennte mich. Er litt, ich litt. Wir telefonierten, waren uns einig, dass wir mit Beziehungen erst mal durch waren. Nach unserem ersten Telefonat, in dem er mir seine Lage schilderte, schloss ich die Augen und bat die Engel, dass sie sich um ihn kümmern sollten, ihm helfen sollten, seine Situation zu meistern, ihm Kraft geben sollten. Bei unserem nächsten Telefonat erzählte er mir, dass er an diesem Abend im Bett lag und es sich plötzlich so anfühlte, wie wenn ihn eine Hand berühren würde. Diese Berührung spendete ihm Trost und er fühlte sich gut aufgehoben, hatte aber keine Ahnung, was das war. Ich erzählte ihm von meiner Bitte an die Engel. Er war fasziniert, ich beeindruckt, dass er das wahrgenommen hatte.

Wir telefonierten nun fast täglich. Erzählten uns alles, redeten über Gott und die Welt. Mehr und mehr merkten wir, dass uns irgendetwas verband. Da war mehr als unsere Einigkeit darüber, dass wir keine Beziehung mehr wollten. Da war mehr als unsere ähnliche Lage. Wir ließen uns darauf ein. Einige Wochen nach unserem Telefonat kam er mich ein Wochenende besuchen.

Er aus NRW, ich aus Bayern. 500 km lagen zwischen uns.
Er 45, ich 26.
Er das zweite mal verheiratet, 2 Kinder aus erster Ehe, die Kinder nur wenige Jahre jünger als ich selbst. Ich Single und von Heirat und Kinder ganz weit entfernt.
Beide die Schnauze voll von Beziehungen, wie wir sie bisher hatten.
Beide einen Job, der nicht aufgegeben werden wollte.
Beide fest verwurzelt in der Heimat, mit der Familie, mit Freunden.

Das war unsere Ausgangssituation. Dennoch stimmte ich diesem Besuch zu. Etwas tief in mir sagte mir, dass es richtig war. Ich buk eine Donauwelle, weil er mal erwähnt hatte, dass das sein Lieblingskuchen war. Er brachte Donauwelle mit, weil ich damals gesagt hatte, dass es auch mein Lieblingskuchen war. ♥ Noch nie hatte ich mich so ruhig und entspannt gefühlt wie an diesem Wochenende. Noch nie vorher war ich einem Mann begegnet, bei dem ich einfach so sein konnte wie ich war, mit dem man über alles reden konnte und ich meine wirklich über ALLES. Noch nie war ich einem Mann vorher so nahe. Noch nie hatte mich ein Mann direkt in seine Seele blicken lassen. Beide hatten wir all unsere Schutzmauern fallen lassen, weil wir uns vertrauten, von Anfang an. Es war, wie wenn sich unsere Seelen begegnen würden. Es war das bezaubernste Wochenende, das ich bis dahin hatte. Ich war wie in einer anderen Welt, völlig gelassen und bei mir, tief berührt. Ihm ging es genauso.

Nach diesem Wochenende war klar, dass wir uns wiedersehen. Wie konnten nicht benennen, was uns verband. Wir wussten nicht, wie sich das alles entwickeln würde. Wir wussten nur, dass wir uns gegenseitig unheimlich gut taten und dass da etwas ganz Großes zwischen uns war und so beschlossen wir, alles seinen Lauf nehmen zu lassen und es so lange zu genießen, wie es uns eben gut tat. Sollte es einem nicht mehr gut tun, dann konnte man immer noch getrennte Wege gehen. Wir redeten also immer ganz offen darüber, wie es uns gerade in der Beziehung ging. Wir gingen nicht automatisch von einem "bis dass der Tod uns scheidet" aus. Sondern wir lebten ganz bewusst jeden einzelnen Tag und entschieden immer wieder aufs Neue, ob das noch das Richtige war oder nicht.

Die meisten unserer Freunde hielten uns für bescheuert. Sie prophezeiten uns die Katastrophe, das Ende, dass das nicht lange gut gehen konnte, zu groß waren angeblich die Hürden. Aber sollten sie reden...

Wir führten also eine Fernbeziehung, sahen uns ungefähr alle 2 Wochen. Wir telefonierten jeden Tag mehrere Stunden, erzählten uns alles, erzählten wie es in uns aussah, was wir so gemacht und erlebt hatten am Tag. Ich bin der Meinung, dass wir uns nie so schnell und so tief kennengelernt hätten, wenn wir uns öfter gesehen hätten. Uns lenkte nichts ab. Wenn wir sprachen, dann wirklich über uns. Es gab keine äußeren Ereignisse, die unsere Aufmerksamkeit abzogen. Es gab die meiste Zeit keine Erlebnisse, die wir gemeinsam mit anderen hatten, in denen wir uns an der Oberfläche bewegt hätten und über die wir dann nicht mehr sprechen mussten, weil wir sie ja gemeinsam erlebt hatten. Wir waren uns über die 500 km näher, als wir es gewesen wären, wenn wir uns gesehen hätten. Wahre Nähe ist keine Frage der Entfernung.

Ich lernte seine Kinder kennen und es passte auf Anhieb. Erwachsene Kinder waren mir eh lieber. ;)

Naja und was soll ich sagen? Wir sind heute noch zusammen und auch richtig glücklich. Nach einem Jahr stand der Entschluss, dass ich zu ihm ziehe. Meine Arbeit hatte sich so sehr zum negativen verändert, dass ich mir einen neuen Job suchen wollte. (Wer hätte das anfangs gedacht?) Das konnte ich dann auch in NRW machen. Ich war an einem Punkt, an dem es sich richtig anfühlte, eine größere Entfernung zu Freunden und Familie zu haben. (Wer hätte das anfangs gedacht?) Meine Selbstfindungsreise begann und dafür war dieser Umzug rückblickend goldrichtig.

Wir leben heute noch nach dem Motto, dass wir jeden Tag neu entscheiden, ob wir uns noch gut tun oder nicht und bisher war die Antwort von beiden immer JA!!!! ♥ Wir reden heute noch über wirklich alles, haben es geschafft, diese unfassbare Nähe im gemeinsamen Alltag beizubehalten, schaffen es immer noch stundenlang zu reden. Heute wissen wir, was uns verbindet: Unsere Seelen! Wir haben uns hier getroffen, damit wir uns gegenseitig beim Wachsen helfen. Wir haben uns getroffen, um uns gegenseitig in unsere wahre Größe zu helfen, damit einer beim anderen das Beste zum Vorschein bringt, damit jeder immer mehr er selbst sein kann, frei und voller Liebe.

Wir definieren eine Beziehung nicht dadurch, dass man sich gegenseitig ergänzt und vervollständigt. Wir definieren eine Beziehung dadurch, dass man dem anderen hilft, zu merken, dass er eigentlich schon vollständig ist. Keiner braucht den anderen zum Überleben. Keiner braucht den anderen, weil er ihm irgendetwas geben muss. Jeder hat schon alles. Wenn sich zwei Menschen treffen, die sich dessen bewusst sind, dann hebt man eine Beziehung auf ein neues Level, begegnet sich auf einer neuen Ebene.

Wir sind eine richtige Familie und wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, dass das auch biologisch "meine" Kinder sind, so viele Parallelen sind da. Selbst Kinder großzuziehen ist in diesem Leben für mich nicht dran, das wusste ich bei unserem Kennenlernen aber noch nicht. Durch diese Beziehung wurden mir die Kinder schon erwachsen "geliefert", bevor ich überhaupt wusste, dass das genau so gut für mich ist. (Wer hätte das anfangs gedacht? ♥) Es passt einfach alles perfekt!

Hätten wir uns damals von all den widrigen Umständen beeinflussen lassen, hätten wir unseren Verstand entscheiden lassen, wäre uns die beste Chance entgangen, die uns diese Beziehung zu bieten hat: Uns selbst wieder zu finden, unsere Wunden gemeinsam zu heilen und gemeinsam in unsere wahre Größe zu kommen, in allen Belangen einfach wir selbst zu sein!

Ich rate euch daher, habt Mut euer Herz entscheiden zu lassen!!! ♥

Habt ihr auch schon einmal eine Beziehung aus logischen Gründen beendet und es hinterher bereut? Wie definiert ihr eine "gute" Beziehung?

Ich freue mich auf eure Kommentare!

Herzensgrüße von mir
Anja



Foto: Anja Reiche

Sieben Jahre...

Wir sind nicht mehr die gleichen wie damals. Und das ist auch gut so.
Wir haben uns entwickelt, hin zu uns selbst.
Wir wachsen gemeinsam, an uns. Das größte Erlebnis, das größte Geschenk einer Beziehung.
Wir sind ein Team und dennoch zwei individuelle Persönlichkeiten, die alles leben können, was gerade Ausdruck braucht.
Wir lieben, leben, genießen, stoßen uns ab, ziehen uns an, reiben uns aneinander, suchen die Nähe und den Abstand, halten uns den Spiegel vor, zeigen uns unsere Themen, halten gnadenlos das Licht in die finstersten Winkel der Seele des anderen, reichen uns gegenseitig immer wieder die Hand für die nächste Entwicklungsstufe, näher zum Licht.
Wir triggern und heilen, machen Wunden sichtbar und versorgen sie mit Liebe.
Wir brauchen nichts.
Wir haben alles, ein jeder in sich. Zwei Wesen, ein jedes für sich komplett.
Wir vervollständigen uns nicht. Ein jeder ist vollständig. Keine Ansprüche, keine Zwänge, keine Forderungen. Nur Freiheit, Liebe, Grenzenlosigkeit, Loslassen und wieder zurückkommen, Wurzeln und Flügel.
Wir sind dennoch verbunden, ganz tief in unseren Herzen, mussten uns in diesem Leben finden, hatten eine Verabredung, haben sie noch.
Wir wollen noch mehr wachsen.
Wir haben uns dazu entschlossen, weit vor dieser Zeit, weit vor diesem Treffen in diesem Leben.
Wir sind eins an der Wurzel, aus der gleichen Substanz und doch im Wesen so unterschiedlich. Ein Yin und ein Yang.
Wir helfen uns, zurück zu uns, aus tiefer Liebe.
Könnte es ein schöneres WIR geben?

Ich danke dir!!! ♥♥♥

Text: Anja Reiche