Mittwoch, 13. Dezember 2017

Sehnsucht

Ich sehne mich nach einer Mutter. Meiner Mutter, so wie sie nie war. Ich sehne mich nach einer Mutter, die mich annimmt wie ich bin, bei der ich nicht als schwierig gelte, wenn ich meine Meinung sage, bei der ich geliebt werde, auch wenn ich wütend bin. Ich sehne mich nach einer Mutter, die mich versorgt und nicht aussaugt, zu der ich gehen kann und ihr meine Probleme erzählen kann, an die ich mich anlehnen kann, bei der ich das Gefühl habe, sie ist ein Fels in der Brandung und nichts und niemand kann sie erschüttern. Ich sehne mich nach einer Mutter, bei der ich mich fallen lassen kann und weiß, dass sie mich fängt, dass sie immer für mich da ist, egal, was ich gemacht habe, egal, was ich habe, was ich denke und fühle und sage.

Ich sehne mich nach einer Mutter, die greifbar ist, die für sich sorgt und mir durch ihre Selbstliebe zeigt, dass ich mich auch selbst lieben darf, dass ich Fehler haben darf, dass ich verzweifelt sein darf, dass ich unlogisch sein darf, verrückt und dabei voller Freude. Die mir vorlebt, dass ich ok bin, genau jetzt.

Ich sehne mich nach einer Familie, in der jeder in seiner eigenen Verantwortung ist, in der keiner etwas vom anderen erwartet, sondern ihn einfach so sein lässt, wie er gerade ist. In der sich niemand über den anderen stellt und nichts vom anderen braucht. In der jeder für sich selbst sorgt, in der jeder offen und ehrlich ist und wirklich sagt, was er denkt und fühlt. In der die Fetzen fliegen können und dennoch jeder bei sich schaut.

Ich sehne mich nach einer Familie, in der sich jeder traut, seine Schwächen zu zeigen, seine Wunden offenzulegen, in der jeder ganz klar nach außen geht, mit dem, was gerade in ihm vorgeht. Ich sehne mich nach einer Familie, in der jeder mutig genug ist, er selbst zu sein und sich zu zeigen. Ich sehne mich nach Echtheit und Konstanz, nach Klarheit und Liebe. Danach, dass jeder für sich selbst sorgt und jeder wichtig genommen wird, gesehen wird, mit seinem wahren Wesen.

Wenn ich das schreibe, stehen mir die Tränen in den Augen und mein Hals wird ganz eng, tut richtig weh, mein Herz brennt.

All das kommt in den letzten Tagen nochmal hoch. So eine Mutter, so eine Familie habe ich nicht, hatte ich nie. Zumindest, wenn es um meine Ursprungsfamilie geht. Meine Schwester immer ausgenommen. Wir haben uns getragen durch all das Grau, durch all die Irrungen und Wirrungen, gaben uns Halt und waren fest verbunden, sind es noch. Gott sei Dank! Eine alleine hätte es wahrscheinlich nicht geschafft. Ich danke dir!

Da ist kein Groll, nur Schmerz. Mir ist klar, dass meine Familie auch nur aus verletzten kleinen Kindern besteht, die selbst nie richtig versorgt wurden. Sie hätten das alles gar nicht leisten können und ich erwarte auch nichts. Wenn man bedenkt, wie verletzt sie wirklich sind und ihren Weg sieht, haben sie es schon fast gut gemacht.

Warum ich das schreibe? Irgendwie wollte es gerade raus. Die letzten Wochen sind geprägt von Innenschau und Einkehr, von Transformation und Heilung. Mein inneres Kind will wieder noch mehr versorgt werden. Es wartet wieder noch mehr Freiheit auf mich. Es gilt zu spüren und hinzusehen, immer einen kleinen Schritt nach dem nächsten zu tun und zu fühlen, was gerade da ist.

Foto: Anja Reiche